LADINA (Kapitel 12)
Ich würde gerne einfach weiterfahren, aber das geht nicht. Mit meinen Angestellten arbeitete ich in jedem Seitental des Engadins. Schau bitte
selber nach wo die liegen, es ist aber eine wunderschöne Gegend. Links und rechts ragen die wunderschönste Berge zu den Wolken. Da durfte
ich noch gratis zu den Bergspitzen hinauffahren. Auf dem Corwatsch bin ich mitten im Sommer über den Gletscher gegleitet. Meine erste
Flugstunde zur Fähigkeitsprüfung machte ich auch hier in diesen Bergen oben. Der Lehrer war in St. Moritz als Wirt und Fluglehrer bekannt,
auch war er der Fluglehrer von dem berühmten Gletscher-Pilot Geiger, der nach seiner Flugschule mit seiner leichten Pipermaschine viele
Verletzte auf den Flugplatz nach Samaden flog, wo dann jeweils schon das Ambulanzauto bereit stand. Eine Gletscherlandung ist etwas ganz
besonders aber auch der Start abwärts forderte viel Konzentration.
Ein Seitental hat den Namen Münstertal. Von Zernez im unteren Engadin aus erreicht man es durch den wunderschönen Nationalpark und dann
über den Ofenpass. Es ist ein stilles wunderschönes Tal. Ich habe ganz sicher nicht die richtigen Worte, die Schönheiten dieses Tales zu
beschreiben.. Die Münstertaler haben so etwas wie einen eigenen Charakter. „Grobe harte Schale ----weicher Kern“. Ich mochte diese Leute
schon beim ersten Mal. Da ich in Sachen Gewässerschutz in Zusammenhang mit Heizöl und Benzin- Tanks hier zu arbeiten hatte, musste ich für
meine Arbeiter und mich einen günstigen provisorischen Wohnplatz suchen. Familie Lemm im Restaurant und Gästehaus „Piz Umbrail“ im Ort
Santa Maria machte uns ein günstiges Angebot. Schnell fühlten wir uns zuhause. Ich durfte sogar in der Küche mithelfen
Die Familie Lemm hatte auch ein paar hübsche Töchterlein, an denen sich man nicht vergreifen durfte. Eine davon zog nach Basel und wenn
mein Gedächtnis trotz hohem Alter noch OK ist, hatte diese dann mit Ihrem Ehemann eine Wäscherei. Eine davon arbeitete in St. Moritz im
Service und eine andere, die jüngste war noch zuhause und besuchte in Müstair die Schule. Die jüngste aber machte Ihren Eltern große Sorgen.
Sie litt unter Gehörschwund. Als die Eltern mir das nötige Vertrauen schenkten, fragte ich sie, ob ich einmal mit dem Arzt sprechen dürfte, der
mich von meiner Taubheit aus der Rekrutenschule „befreite“. Mit großem Vorbehalt erlaubte sie es mir, machten mich aber darauf aufmerksam,
dass die zuständige Krankenkasse nicht zahlen will und der Münstertaler- Arzt bereits sagte, dass man hier nicht mehr helfen könne. Mit diesem
Resultat war ich nicht zufrieden, ging zur Krankenkasse und ging von dort nicht weg, bevor ich eine Kostengutsprache in meinen Händen hatte.
Es gab dann noch einige Gespräche mit den Eltern und dem Kind. Sie wollte ein VELO = Fahrrad. Die Eltern hatten aber nur das bei Seite legen
können, was sie dem Steueramt abgeben mussten. Aber das Mädchen wollte unbedingt jetzt endlich ein Velo. Für mich war das echt schön, wie
der einfache Nationalparkwächter dem Kind erklärte, dass das nächste Ersparte für ein 2- rädriges Fahrgestell sein würde. Er wollte das so tun,
aber was man diesen Eheleuten an Steuern abnahm, war für mich nicht mehr schweizerisch, dafür aber echt Merkeldeutsch, obwohl es dazumal
noch gar keine Merkel auf der Westseite von Deutschland gab. Dazumal war diese Frau noch echt „Ulbricht und Honegger – Fan und von der
DDR überzeugt. Also kam für das Kind ein Fahrrad nicht oder noch nicht in Frage. Es gab hier aber noch ein zweites Problem: Das Kind hörte
nur noch auf einem Ohr aber auch da schon sehr schwach. So kam bei den Eltern noch Angst dazu, dass ihr Kind die Autos nicht hören würde
oder eben zu späht. Das 3-Klang – Horn (Cis, Fis, Gis) des grossen Postautos hörte sie gut.
Ich fragte dann dieses zärtliche Geschöpf, ob sie mit dem Stutz (ich) einmal nach Zürich möchte. Das war für dieses Geschöpf eine riesengroße
Einladung. Bevor wir also den südlichen Teil Richtung Zürich verließen, wollte sie von Papa das Versprechen, dass er Ihr ein Velo kauft, wenn
sie höre. Als Mutter und Vater ihr Gesicht verzogen, sagte ich dann; wenn Du hörst, kauft der Stutz Dir ein Velo. Auf dem Weg hackte sie sich
einige Male in diesem Versprechen ein. Ich erklärte Ihr dann, dass wir jetzt mal zuerst zum Professor fahren und dann abklären, ob es möglich
sei, dieses Gehör noch zu retten. Und------der bejahte. Für ein Ohr sei es viel zu späht, aber das 2te könnte man noch retten. Schnell war der Herr
Prof. Dr. FMH von Schulthess bereit, mit mir zusammen einen OP – Termin zu suchen. Es kam ja sowieso nur ein Montag in Frage. Wir wurden
schnell fündig und so fuhren wir zusammen in die Stadt an den Zürichsee, wo sie genoss, Schwäne, Enten und anderes Gefieder zu füttern. Am
Dienstag sind wir dann zurück ins Münstertal gefahren.
Zuerst kam die Freude der Eltern uns entgegen, denn sie glaubten dem Tal – Arzt alles was Er sagte und es war so etwas wie heilig. Und jetzt
„funkte“ der Stutz dazwischen, was für den Arzt sehr schlimm war. Ich wollte sein Können und Wissen nur ergänzen. Ich wollte nur helfen. Es
ist einfach schade, dass die Ärzte schon vor 50 Jahren stolz waren und immer recht hatten.
Jetzt kam der Kampf mit der Krankenkasse im Münstertal. Ich musste für die notwendige OP eine Kostengutsprache haben, insbesondere weil
diese OP in Zürich in einem Privatspital stattfinden musste. Und zwei Wochen später bin ich mit der Ladina wieder nach Zürich gefahren. Sie
hatte keine Angst, auch nach der Beruhigungsspritze nicht. Als sie von einer Krankenschwester in den OP – Saal gefahren wurde, erkannte sie
den Professor trotz Haube und Mundschutz und rief ihm entgegen; „gäll dogtär, machschmär dänn Tohrä rächt, suscht kauft mär dä Schtuz kei
Velo“. Sie dürfen einige Mal raten was das heisst. Ich will es aber nicht verraten. Das hat mir nach der OP dann der Professor erzählt. Es gab
dann noch einige so schöne und lustige Episoden mit Ladina. Eine war: Zum Mittagessen bekam das Mädchen ein richtiges Kottlet und Pommes
Frites mit etwas Gemüse. Ich saß neben Ihrem Bett und als die Schwester (40 Jahre später heißt das; Diplomierte Pflegefachfrau) meldete, dass
gleich das Mittagessen gebracht würde, machte ich dem Mädchen den zusammenlegbaren Tisch auf dem Bett bereit. Sie ließ einen Jauchzer los,
als sie das Essen sah, denn in Ihrem Zuhause gab das so nicht. Die Familie Lemm, die es leider nicht mehr gibt, lebte einfach und demütig. Da
hätten viele Christen etwas lernen können. Da kam dann noch der Professor hinten nach und erzählte mir den OP – Verlauf. Da steckte Ladina
ganz schnell die Gabel in das Kottelet, hob es auf und rief dem Professor freudig zu: „luäg Dogtär, iiih han äs Schnitzäl“.
Später aber gleichentags flüsterte ich ihr zu: „chann dr Schtuz jetzt go äs Velo chaufä“? Die Antwort liess nicht auf sich warten: „darf iiih
mitcho“ ? So sind wir dann zu einem grossen Fahrrad – Geschäft gefahren und kauften ihr ein etwas zu grosses Velo, damit sie mit diesem
möglichst lange fahren kann.
Etwa zwanzig Jahre später besuchte ich zuerst das Ehepaar Lemm. Genau am Geburtstag von Frau Lemm besuchte ich die beiden alten Leute (in
ihrem Alterssitz). Aus dem Gästehaus ist ein echtes Hotel geworden und das führt jetzt Ladina und Ihr Mann. Mit einem grossen Blumenstrauss
tappte ich ohne Anmeldung in die Stube rein. Es war echt schön wie diese Frau in der Vergangenheit mich suchte. Er war gerade nicht da. Als er
dann reinkam, fragte sie Ihren Ehemann, ob er mich kennen würde. Nein, im Moment nicht gab er zur Antwort. Woher weiß der Mann
überhaupt meinen Geburtstag? Das haben die Tauben in Zürich von den Dächern gezwitschert! Dann ging es schnell und die Freude war
beidseitig riesengroß.
Natürlich wollte ich an jenem Tag auch Ladina sehen, das war mir wichtig. Sie sei mit Ihrem Mann gerade in Müstair bei Ihrer großen
Schwester, so sagte man mir. Auf dieser Reise hatte ich eine angenommene Tochter mit mir. Diese angenommene Tochter hatte nie etwas mit
Drogen zu tun gehabt, stammt aber von einer „armen“ arabischen Familie ab. Vor allem Ihre Mutter war eine Israel – Freundin. Das kam auch
klar zum Vorschein denn die Brüder von unserer Angenommenen haben die dreijährige Militär – Dienstzeit hinter sich gebracht und das in
Deutsch ausgedrückt: bei den Grenadieren. Als sie, die Mutter wusste, dass mir von Deutschen Christen Geld für die Armen messianischen
Juden anvertraut wurde, hatte ich sie viel am Telefon. Niemand konnte mit so süßen und frommen Worten betteln wie diese Frau. Auch mit
dieser Frau hatte ich ein unvergessliches Erlebnis. Eine Zeit lang rief sie jeden Tag an und sprach von der defekten Toilette, die gebrochen sei
und dass das Wasser schon in der unteren Wohnung sichtbar sei. Ich betete und bekam die Gewissheit, dass ich von diesem Geld nichts
wegnehmen durfte, das für die messianischen Juden ist, andrerseits wollte ich ihr aber doch helfen. Im Magazin in einem arabischen Dorf hatte
ich noch eine fast neue Toilettenschüssel, die ich wegen der Farbe auswechseln musste. Diesen zusätzlichen Raum mietete ich, weil ich meiner
Frau zuliebe kein Material in der Wohnung einlagern wollte, das ich nur für die Arbeit brauchte. Ich reinigte und desinfizierte diese Toilette, so
dass sichtbar wurde, dass diese Schüssel fast neu war. Ohne Anmeldung tauchte ich bei dieser Familie auf und brachte dieser fast neue Sitz hin.
Jetzt gab es ein paar Schwierigkeiten. Ich kam mit einer Toilette, die Frau aber wollte Geld.
Zurück zu unserer angenommenen Tochter, die ich hier einfach Nizza (schöne Stadt in Frankreich direkt am Mittelmeer) nenne und mit der ich
in das schöne Münstertal gefahren bin. Wir besuchten also Ladina und ihren Ehemann und natürlich dann auch diese Schwestern, die alle sehr
gut kannte. Alle saßen beisammen in der Küche. Als Ladina mich nach sicher 20 Jahren das erste Mal sah, kletterte sie über den Tisch und freute
sich am wiedersehen, ich auch und unsere Nizza erschrak auch über die Freude und Herzlichkeit, die mir entgegen gebracht wurde. Ladinas
Ehemann erschrak selber auch, wusste er wohl von mir aber ohne Namen. In dieser Familie war es mir echt wohl und man kannte mich durch
diese Hilfe im ganzen Münstertal. Ich durfte einfach auch ein „Münstertaler“ sein.